Kaulsdorf –
Thomas Schulz aus der Robert-Koch-Straße ist eigentlich ein
besonnener Mann und lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe
bringen. Was dem Sprecher der „Bürgerbewegung
Wernerbad“ aber in der Diskussion mit dem Stadtplanungsamt
hinsichtlich des dort erarbeiteten Bebauungsplanes für das Areal
des ehemaligen Wernerbades (der in dieser Zeitung bereits mehrfach
vorgestellt und besprochen wurde) widerfuhr, lässt ihm schier die
Nackenhaare zu Berge stehen. Denn die in der Bürgerbewegung
vereinigten Anwohner sehen sich von der Behörde mehr als
kaltgestellt. Sie hätten „in den vergangenen Monaten bereits
mehrfach auf Mängel im Bebauungsplan 10-63 aufmerksam
gemacht“, schreibt Schulz in einer umfangreichen Stellungnahme
zum B-Plan. Diese Einwände wurden seitens des Bezirksamtes nicht
nur nicht abgeschmettert, die „im Rahmen der Rückweisung
vorgebrachten Begründungen“ seien sogar
„unverständlich oder widersprechen offensichtlichen
Tatsachen“. Es ist zwar kein Geheimnis, dass Einwendungen aus der Bürgerschaft bei Bebauungsplänen bzw. Bauvorhaben in diesem Bezirk regelmäßig ignoriert werden – und dies unabhängig von der Parteizugehörigkeit des jeweiligen Dezernenten – dass aber tiefgreifende, weit in die Gesetzlichkeit reichende Stellungnahmen einfach „abgebügelt“ werden, hat schon eine neue Qualität, die bei den Einwendern Zweifel am rechtsstaatlichen Handeln und Mängel im Rechtsverständnis von Amtsträgern und Politikern aufkeimen und dort ein „Zuschustern“ der Liegenschaft an einen vorgeblich gar nicht existenten „Investor“ vermuten lassen. |
![]() Der streng geschützte Mittelspecht – amtliche Gutachter sahen ihn am Wernerbad nicht, die Bürger schon. Foto: BI |
Die Lage stellt sich momentan so dar: Die Bürgerbewegung hat
insgesamt neun „Sachverhalte“ im B-Plan, insbesondere in dessen Begründung, ausfindig
gemacht, die sie in Zweifel ziehen und mit selbst recherchierten, teils gar vom
Bezirksamt selbst veröffentlichten Fakten, zu widerlegen suchen. Das fängt
schon im Grundsätzlichen an, denn der Plan sieht als einzig zulässige Bebauung
des Areals Wohnhäuser für pflegebedürftige Personen vor und begründet dies mit
den „Anforderungen des demografischen Wandels“ und sozialen Bedürfnissen der
Bevölkerung innerhalb des Siedlungsgebietes.
SELBST AMTLICHE UNTERLAGEN WIDERSPRECHEN
Die Bürgerbewegung hält mit dem aktuellen Demografiebericht des
Bezirksamts dagegen, aus dem hervorginge, dass Kaulsdorf „demnach ein
Sozialraum mit einem hohen Anteil an junger Bevölkerung und einem unterdurchschnittlichen
Anteil an alten Menschen“ sei. Der BPlan behauptet, es gäbe im Bereich Kaulsdorf
„kein Defizit an öffentlichen Grünflächen“, weshalb keine planungrechtsliche Sicherung
solcher Flächen nötig sei. Die Bürger kontern mit dem erst kürzlich vom selben
zuständigen Stadtrat vorgelegten Konzept „Soziale Infrastruktur für Berlin
Marzahn-Hellersdorf 2020/ 2030“, wonach „sich die Pro-Kopf-Versorgung in
Kaulsdorf“ verschlechtere. „Zukünftig bedarf es rechnerisch in Kaulsdorf etwa
15 000 bis 22 000 Quadratmeter Grünflächen zusätzlich“, heißt es im
Infrastruktur- Konzept.
WURDEN STRENG GESCHÜTZTE ARTEN NUR „ÜBERSEHEN“?
Abgesehen von ähnlichen sich widersprechenden amtlichen Zahlen
hinsichtlich der vorhandenen und benötigten Kitaplätze und diskrepanten
Auffassungen zur rechtlichen und sozialen Bewertung der geplanten Nutzung (in
der Stellungnahme mit anerkannten Gutachten renommierter Forscher untersetzt)
wiegen die Vorwürfe wegen möglicherweise falscher Einschätzungen hinsichtlich des
Naturschutzes besonders schwer. Die laut B-Plan erfolgte „gutachterliche
Untersuchung zum Artenvorkommen innerhalb des Bebauungsplanverfahrens“ stellt
fest: „Streng geschützte Arten wurden nicht vorgefunden.“ Deshalb werde „das
Verfahren ohne Umweltprüfung“ geführt. Die Bürger monieren nicht nur, dass die
gemachten Beobachtungen „Ergebnis eines Umweltgutachtens, welches sich auf zu wenige
Vor-Ort-Stunden stützt“, seien. Sie hätten „eine im Vergleich zum Gutachten
etwa doppelt so große Artenanzahl festgestellt. Darunter auch streng geschützte
Arten wie den Mittelspecht.“ Letzteres dokumentieren sie mit Fotos, die diesen
Vogel am Zaun des ehemaligen Wernerbades zeigen.
Und nicht zuletzt weisen die Anwohner auf Unstimmigkeiten
und „unzutreffende“ Behauptungen hinsichtlich der Regenwasserbewirtschaftung und
der vorhandenen Gewässer hin. „Das Wernerbad wurde vor über 100 Jahren nicht
zufällig auf dieser Fläche inmitten des Siedlungsgebiets errichtet. Es war der
Tatsache geschuldet, dass sich die Fläche für eine Bebauung schlecht eignet. Neben
den sensiblen und dynamischen Wasserverhältnissen bietet der Standort ebenfalls
stellenweise einen nichttragenden Untergrund, welcher bei Baumaßnahmen berücksichtigt
werden muss. Ein Hinweis auf Schichtenwasser im Bauplan ist für das Gelände des
Wernerbads bei Weitem nicht ausreichend (ein solcher kann pauschal für den
größten Teil von Kaulsdorf gegeben werden). Es geht vielmehr darum, die besonderen
Strömungsverhältnisse im Untergrund zu erfassen und deren Auswirkungen auf die neue
und vorhandene Bebauung sowie auf den gesamten Pfuhlverbund einzuschätzen.“
Diese Aufgabe sieht die Bürgerbewegung ungelöst. Und ihr Sprecher
will sich mit einem lapidaren „so geht Kapitalismus eben heute“ auch nicht abspeisen
lassen.
Ralf Nachtmann